Bergabenteuer


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Antarctica

Bergabenteuer in der weißen Unendlichkeit

Eisige Windböen fegen über die Blankeis-Landebahn an den Patriot Hills, an einen Abflug in die Antarktis ist nicht zu denken. Doch die Abendstunden bringen Wetterbesserung am fernen Ende dieser Welt, das Warten hat ein Ende. Ein einziges Flugzeug wartet auf dem verlassenen Flugfeld von Punta Arenas in Südchile. Das Rot des schwindenden Tages lässt die riesige Iljuschin wie ein dunkles, geheimnisvolles Monster erscheinen, das uns in eine fremde Welt bringen soll.

Wir, gut dreißig Bergsteiger aus aller Welt, strömen zum Einstieg. Keine Gangway, keine komfortablen Sitzreihen. Die mächtigen Heckklappen stehen weit offen, so als sollen wir Winzlinge von dem riesigen Flieger verschlungen werden. Wir klettern über eine Hühnerleiter und Unmengen von Fracht, verschwinden im schwach beleuchteten Bauch des Ungetüms, schnallen uns an den schmalen Klappsitzen an den Seitenwänden der Iljuschin fest und fühlen, dass das Abenteuer in einer unwirklichen Wirklichkeit schon begonnen hat.

Mein Blick schweift die Sitzreihen entlang. Hier finden sich einige der ganz großen Namen der Bergsteigerwelt. Einige kenne ich aus der Bergsteigerliteratur, aus Zeitschriften und Abenteurer-Filmen. Nun sitzen sie neben mir, werden in den nächsten Wochen meine Bergkameraden sein. Uns alle erwartet ein Abenteuer der ganz anderen Art – der 4892 Meter hohe Mount Vinson, der höchste Gipfel auf dem unwirtlichsten aller Kontinente.

Mitten in der Nacht landen wir auf dem Blankeis von Patriot Hills, die Sonne wird hier nicht mehr untergehen. Nur wenige Stunden sind uns im komfortablen Camp vergönnt, eine Twin Otter auf Kufen fliegt uns weiter zum 250 km entfernten Vinson- Basislager.

Erste Gehversuche in den Bergen, weite Gletscherhänge, ein kleiner Gipfel mit spannendem Firngrat. Wir erfahren es erst später: Nie zuvor war ein Mensch dort oben gestanden.

Unser Besteigungs-Schema: Einem Tag der Höhenanpassung mit kleineren Bergtouren lassen wir einen Tag des Vorwärtskommens am Berg folgen. Wir, das sind zwei Briten, zwei Österreicher, ein Libanese, ein Japaner und ein Kanadier. Theo Fritsche aus Vorarlberg hat den Everest ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff und Fixseilen bestiegen. Wer auf der Welt kann dies noch von sich behaupten?

Zehn Kilometer auf mäßig geneigten Gletscherflächen sind bis zur Basis des Berges zu überwinden. Wir seilen uns an, das Terrain ist spaltenreich, wir binden uns die Schlitten an die Klettergurte und stapfen hinauf auf 3000 m Höhe, Lager 1. Die Lebensmittel graben wir aus Eisdepots aus, die mit Fähnchen markiert sind. Zehn Jahre altes Brot, acht Jahre alter Käse, kein Problem im größten Kühlschrank der Welt. Für wenige Stunden verschwindet die Sonne hinter den Bergen, es wird bitterkalt, minus 45 Grad. Diese Zeit nutzt man am besten zum Schlafen.

Bergtour auf eine Passhöhe, fassungsloses Staunen - Ausblicke in eine unwirkliche Wirklichkeit - unter uns liegt eine endlose Eisfläche, aus der eine schwarze Felspyramide herausragt, wie von Menschenhand geschaffen – es ist Weihnachten. Wir steigen durch steiler werdendes Gelände. Die Schlitten haben ihre Schuldigkeit getan, alles muss in die Rucksäcke umgepackt werden. Die letzten 500 Höhenmeter führen durch die 50 Grad steile Head Wall hinauf auf den Sattel zwischen Mt. Vinson und Mt. Shinn. Hier errichten wir unser windgeschütteltes Lager 2 in 4000 m Höhe.

27. Dezember 2004, der sechste Tag am Berg: Starker Wind, die Temperaturen sind in den Keller gefallen, die Sicht ist gut. Selbst im Zelt 25 Grad unter null. Das Eisschmelzen, Anziehen, Angurten wird zur eisigen Herausforderung. Der folgende Aufstieg, völlig eingemummt, ist dagegen richtig angenehm. Über ein geneigtes Schneeplateau, das von den vielen Gipfeln des Vinson-Massivs umrahmt wird, geht es immer höher hinauf. Wind und Kälte nehmen zu. Wir hüllen uns komplett in Daune ein. Wie wird es wohl am windausgesetzten Gipfelgrat? Der Gipfelaufbau ist steil, wir ringen nach Luft. Immer mehr und immer längere Pausen! Wir klettern über einige Felsen und sind oben – fast. Vor uns liegt der schmale Gipfelgrat des Mount Vinson, der höchste Punkt, noch immer eine halbe Stunde entfernt, liegt nur noch wenige Meter höher. Leichte Kletterei, vergleichbar mit den Schwierigkeiten des Großglockners, nach sieben Stunden liegt der gesamte Kontinent unter uns. Petrus zeigt sich gnädig. Bei Windstille und Sonnenschein genießen wir das Dach der Antarktis.

Zwei Tage später erreichen wir das Basislager. Noch bleibt uns eine Woche auf dem weißen Kontinent. Ausspannen, einige Genusstouren auf namenlose Berge, ausgelassene Silvesterparty, zu Mitternacht bei Sonnenschein vor dem Zelt, unter uns eine unwirklich zauberhafte Eiswelt. Doch nun häufen sich die Schlechtwettertage, wir verkriechen uns im Zelt, der Rückflug verzögert sich um mehrere Tage. Am 6. Jänner gibt es mehrere Stunden gutes Wetter, die Iljuschin landet auf der Eisbahn von Patriot Hills. Wenige Stunden später betreten wir die grün-blaue Welt von Patagonien – ein großes Abenteuer geht zu Ende.

Bemerkungen zur Diabetes-Therapie

Das Abenteuer habe ich für mich gelebt, aber es ging auch darum, die Möglichkeiten der Diabetes-Therapie unter derart extremen Outdoor-Bedingungen zu testen Die kostspielige Expedition zum Mount Vinson wurde ermöglicht durch die Unterstützung und die Zusammenarbeit mit den Firmen Aventis (Produkt: Lantus) und Bayer (Produkt: Ascensia Esprit 2). Als Gegenleistung habe ich die Produkte dieser Unternehmen hinsichtlich Tauglichkeit und Wirkung unter Extrembedingungen getestet.

Die mittlere Blutglukose während meines Antarktis-Aufenthaltes lag bei 125 mg/dl.

Ich habe eine Fischerjacke, ärmellos, leicht, mit vielen Taschen über dem Hemd und unter der Daune getragen. Somit hatte ich mein gesamtes Insulin, mein Blutzuckermessgerät und auch den Fotoapparat stets dicht am Körper, konnte so alles vor extremer Kälte schützen.

Es gibt nur wenige diabetische Höhenbergsteiger. Alle haben in großen Höhen eine bisher unerforschte Insulinresistenz festgestellt, die die Blutzucker-Werte trotz großer körperlicher Belastung in gefährliche Höhen steigen lässt. Diese Insulinresistenz war an der Shisha Pangma nur noch sehr reduziert feststellbar und die hohen Werte waren mit Insulin in 1-2 Stunden korrigiert. Am Pik Lenin und am Aconcagua dauerte es für mich noch 2-3 Tage, ehe ich wieder auf normale Blutzucker-Werte kam. Am Mount Vinson habe ich trotz extremer Anstrengung in Gipfelnähe einen Blutzuckerwert von 191 mg/dl gemessen, fast optimal für die Leistungsfähigkeit beim Abstieg. Allgemein waren meine Blutzuckerwerte recht ausgeglichen, d.h. wenige Hypos, aber auch wenige Ausreißer nach oben.

Erläuterungen

Die Antarktis ist mit 14 Millionen Quadratkilometern und einem Durchmesser von fast 7000 Kilometern eineinhalbmal so groß wie Europa, 98% der Fläche sind mit einem etwa 3000 m dicken Eispanzer bedeckt. Der gesamte Kontinent ist von Menschen unbewohnt, keine Dörfer oder Städte, nur einige Forschungsstationen. Tiere (z. B.: Pinguine) können nur in den Küstenregionen überleben, und hier vor allem auf der Antarktischen Halbinsel, die sich bis zum 63. südlichen Breitengrad nach Norden erstreckt. Diese Halbinsel ist auch nicht ständig von Eis bedeckt und weist Spuren von Vegetation auf (vor allem Moose). Das Inland der Antarktis ist eine endlose Eisfläche, aus der nur in manchen Regionen das Schwarz hoher Gebirge herausragt.

1935 entdeckte der Polarforscher Lincoln Ellsworth bei seinem historischen Flug über die Antarktis eine unbekannte Bergkette mit bis zu 5000 Meter hohen Bergen, die später seinen Namen tragen sollte. Der höchste Gipfel dieses Gebirgszuges, der Mount Vinson, ist zugleich die höchste Erhebung des Kontinents (geografische Lage: 78° 31´ südl. Breite, 85° 45´westl. Länge, im Inlandeis). 1966 gelang einer schweizerisch-amerikanischen Expedition erstmals die Besteigung. Neueste Messungen haben eine Höhe von 4892 Metern ergeben. Durch die geringe Höhe der Atmosphäre in Polnähe empfindet der menschliche Körper den Berg wie einen 6000er.

Technisch gesehen ist die Besteigung nicht sehr schwierig (II+ am felsigen Gipfelgrat, eine 500m hohe bis zu 50° steile Schnee/Eis-Wand). Extrem sind allerdings die Outdoor-Bedingungen auf Grund der extremen Kälte und dem Fehlen jeglicher bergsteigerischer Infrastruktur. Man muss minimal 3 Wochen für eine Besteigung einkalkulieren, um an diesen entlegenen Platz zu gelangen und um die großen Horizontal- und Vertikaldistanzen (ca. 3200m) zu überwinden. Umfangreiches Gepäck muss mit Schlitten am Körper gezogen werden bzw. in schweren, übervoll gepackten Rucksäcken über teils sehr steiles Gelände tranportiert werden. Der Mount Vinson ist zudem einer der kostspieligsten Gipfel der Welt (minimal 30000 US-Dollar).

Seit der Erstbesteigung haben etwa 600 Bergsteiger(innen), vorwiegend aus den USA, den Gipfel erreicht. Warum ist dieser kostspielige und unwirtliche Gipfel derart beliebt? Er ist einer der Seven Summits, der höchsten Erhebungen jedes Kontinents (Nord- und Südamerika werden getrennt gewertet): Die Idee, den höchsten Gipfel jedes Kontinents zu besteigen, geht auf den texanischen Milliardär Dick Bass zurück und erfreut sich besonders bei US-Amerikanern und Briten großer Beliebtheit. Die Seven Summits umfassen sieben unterschiedliche Bergtypen, die völlig verschiedene bergsteigerische Kompetenzen verlangen und in sieben unterschiedliche Weltgegenden führen. Bisher haben insgesamt 81 Bergsteiger, darunter acht Frauen dieses Ziel erreicht, als erster der Kanadier Pat Morrow (1986). Nur ein einziger hat dies ohne künstlichen Sauerstoff geschafft (Reinhold Messner). Theo Fritsche, mein Bergkamerad am Mount Vinson könnte der zweite werden. Ihm fehlt nur noch Ozeaniens höchster Gipfel, die 4884m hohe Carstensz-Pyramide.



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